Der hinzugerufene Ghost Negotiator
sicherte zunächst die gefährlichste Flanke und weihte den Vorstand ein. Die Gegenseite hatte so keine Chance, mit der Drohung, die Verhandlungen zu beenden, Druck auszuüben. Im Gegenzug forderte der Vorstand aber, dass der Deal auf keinen Fall platzen durfte, ein enormer Imageschaden könnte sonst entstehen. Der Durchbruch gelang, indem Schranner das Vertragspaket in viele Einzelleistungen aufteilte. Aus der Generalabnahme des Zehn-Millionen-Projektes wurde eine kleine, fehlerhafte Teillieferung von 500.000 Euro als Verhandlungsmasse ausgeklammert. In der folgenden Verhandlung einigten sich beide Parteien, dass der Zulieferer diesen Teil auf eigene Kosten nachbesserte - im Gegenzug verpflichtete sich der Auftraggeber. im kommenden Jahr eine Leistung in ähnlicher Höhe zu bestellen.
„Ghost Negotiation hat viel mit Strategie zu tun, tricksen ist nur ein Teil davon", sagt Lutz Kaufmann, Managementprofessor an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU) in Vallendar und ebenfalls Ghost Negotiator. Statt den Druck zu erhöhen, führe in einer festgefahrenen Situation oft der gegenteilige Weg schneller ans Ziel: Nicht den großen Abschluss durchsetzen, sondern Teilerfolge realisieren. „Ich gebe dir etwas zu essen, du gibst mir eine Geisel", vergleicht Ex-FBI-Mann Lanceley solche Zug-um-Zug-Geschäfte.
Und noch etwas kann man von den Profis lernen: Nicht so viel reden! Die meisten Menschen meinen, man führt eine Verhandlung, indem man viel sagt. Viele reden sich dabei aber um Kopf und Kragen und offenbaren wertvolle Details. Ghost Negotiators dagegen sind fast immer introvertiert, hören genau zu, fragen nach, horchen aus. „Schweigen", sagt Schranner, „ist vielleicht die beste Art, in Verhandlungen einzusteigen. Wer schweigt, gibt nichts preis - und erfährt viel."
Er grinst dabei verschmitzt, trinkt den letzten Schluck aus seiner Tasse, sein Flieger gehe jetzt. Er habe auch schon viel zu viel erzählt. Der Mann in Grau steht auf, rückt den Anzug gerade -und geht in der Masse unter.
Verhandlungstaktik. Wenn es bei Verhandlungen um große Summen geht, schalten Unternehmen gerne einen Ghost Negotiator ein. Dessen Tricks dienen nur einem Zweck:den Gegner niederzuringen.
Der Mann, der Unternehmen dabei hilft, andere über den Tisch zu ziehen und Millionen Euro zu sparen, wirkt schüchtern. Er sitzt vor seiner Tasse Cappuccino im Terminal 1 des Hamburger Flughafens, kaut an einem Croissant und spricht so langsam, dass ihm die Worte fast auf der Zunge verdorren. Leise redet er auch. Grauer Anzug, graue Socken, graue Haare, die am Hinterkopf in alle Richtungen streben. Sein ganzes Wesen hat etwas Unscheinbares, Beliebiges. Ein Jedermann. Das ist sein Kapital. Er lebt davon, uriterschätzt zu werden.
Matthias Schranner, 41, ist ein Ghost Negotiator, ein Verhandlungsprofi, ein käuflicher Dienstleister, spezialisiert auf Grenzfälle - Verhandlungen, bei denen es um viel Geld geht und sich beide Seiten festgebissen haben; Fälle, bei denen der Stress hoch ist und die Zeit knapp. „Ich werde leider immer erst angerufen, wenn es bereits brennt", sagt Schranner und nippt am Cappuccino.
Er ist dann so eine Art Physiotherapeut, der die Spannungen lockert, ein Stauberater, der steckengebliebene Gespräche auflöst, ein Pfadfinder, der versucht, „zwischen Desaster und Katastrophe das Beste herauszuholen". Nur eines ist er nicht: ein Vermittler, ein Schlichter. Im Gegenteil. Ein Ghost Negotiator schlägt sich bedingungslos auf eine Seite, bringt die Unterhändler seines Klienten in Stellung und macht sie fit für nur einen Zweck: die Verhandlungen zu gewinnen.
Dabei sitzt Sehranner nie mit am Verhandlungstisch, er führt die Regie im Hintergrund. Daher auch der Name seines Berufs: Er bleibt ein Geist, nur wenige wissen überhaupt von seiner Existenz. Das ist entscheidend. Denn ahnt die Gegenseite, dass sie es mit einem beinharten Profi zu tun hat, wird sie ebenfalls einen hinzuziehen. „Das erschwert den Job erheblich", sagt Sehranner und grinst, zum ersten Mal. Ghost Negotiation - das geht im Prinzip so:
Die Verhandlungen stecken fest, der Profi wird gerufen und in den Fall genauestens eingeweiht.
Im nächsten Schritt analysiert er die Lage, benennt die Hauptakteuer der Gegenseite, recherchiert (nicht immer allein) die Schwächen dieser Gegner und entwickelt eine oder mehrere Verhandlungsstrategien.
Dann werden die Verhandlungsführer des Auftraggebers trainiert: Sie proben mögliche Gespräche in allen Einzelheiten, lernen manche Sätze sogar auswendig; üben, wann sie reden. wann sie schweigen, wie sie was betonen; üben Körpersprache, Gestik, Mimik. Bis alles sitzt. Dann treten sie in den Ring. Nach der Verhandlung folgt eine Manöverkritik, um sich für eine mögliche zweite Runde zu präparieren - bis zum Erfolg.
Der Job ist gefragt. Bücher über Verhandlungstaktik haben Konjunktur, Seminare zu dem Thema sind häufig ausgebucht. Die Sitten sind rauer geworden. Kundentreue, langjährige Geschäftsbeziehungen, regionale Nachbarschaftshilfe - das alles gibt es zwar noch, nur verlässt sich niemand mehr darauf. Globaler Wettbewerb, Preis- und Überlebenskämpfe - das alles spiegelt sich am Verhandlungstisch wider. Entsprechend hart wird gerungen, auch mit fiesen Tricks.
Ghost Negotiation ist ein bisschen wie Sport und Pokern. Gelernt hat Sehranner das Handwerk bei der Polizei. Der Ex-Münchner war dort jahrelang Verhandlungsführer, diskutierte mit Geiselnehmern, Bankräubern, Suizidgefährdeten. Heute lebt er in St. Gallen, trainiert Manager von Konzernen wie BMW, SAP, Microsoft oder Deutsche Bank, schreibt Bücher, hält Seminare. „Ob du mit einem Gangster oder einem Einkäufer verhandelst, ist letztlich gleich", sagt er. „Beide haben ein Motiv. Das ist der Schlüssel und nicht allzu oft ein edles." Oder wie es einer seiner Kollegen formuliert: „Nimm nie ein ehrenwertes Motiv an, wenn es ein schäbiges gibt."
Wie viele solcher Dunkeldealer in Deutschland heimlich mitverhandeln, weiß niemand. Diskretion ist Bedingung für den Beruf, den es offiziell nicht gibt: keine Ausbildung, kein Studium, keinen Berufsverband. Die meisten sind Autodidakten oder Naturtalente. Sie kommen entweder, wie Sehranner, von der Polizei oder sind gelernte Soziologen, Psychologen. Wer einen von ihnen kennt, gibt die Telefonnummer allerdings nur ungern weiter: Der Profi könnte schließlich einmal gegen ihn arbeiten.
In den USA ist der Beruf populärer. Dort haben sich einige Schattenverhandler zu den „Crisis Negotiation Associates" (CNA) in Daytona, Florida, zusammengeschlossen. CNA-Direktor Frederick Lanceley arbeitete zuvor 26 Jahre für das FBI und war dort so etwas wie der Chefausbilder der Verhandlungsagenten. Heute coacht er auch Manager, seine Bücher gelten nicht nur bei der Polizei als Standardwerke. Genauso wie die Bücher von Raymond Saner. Der ist Chefausbilder der Topdiplomaten bei der UNO und berät internationale Konzerne bei Verhandlungen.
Auch Heinz-Georg Macioszek ist Ghost Negotiator. Schon seit 25 Jahren. Der 65-jährige promovierte Soziologe und Buchautor dürfte damit einer der erfahrendsten deutschen Geheimdealer sein. Und ist genauso verschwiegen wie unbekannt: „Wer den Ruhm sucht, ist falsch in dem Job", sagt der Hamburger.
Zu seinem Beruf kam er eher zufällig. In den Siebzigerjahren arbeitete er als Vertriebsleiter bei einem mittelständischen Maschinenbauer in Vlotho. Ein Freund fragte, ob er ihn bei einer schweren Verhandlung mit dem Finanzamt unterstützen könne. Die Steuerbeamten wollten eine Nachzahlung von zehn Millionen Mark. Macioszek half und drückte die Summe auf eine Million, so sagt er. Wie, das verrät er nicht - „Berufsgeheimnis". Das Talent aber machte er zum Beruf- mit Erfolg. Er lebt heute in einem noblen Viertel in der Nähe der Hamburger Rothenbaumchaussee, nimmt nur noch fünf Fälle pro Jahr an - und die erst ab einem Streitwert von 100 Millionen Euro. „Im Streitfall ist meine Wirkung am größten", sagt Macioszek. Weil dann beide Seiten nicht mehr auseinander können, weil sie verhandeln müssen, wenn die Anwälte bereits kapituliert haben.
Sein Honorar, wie das der meisten Verhandlungsprofis, basiert auf dem Erfolg, meist ein bestimmter Prozentsatz der eingesparten Summe. In der Regel verdient ein Ghost Negotiator 20 000 bis 50 000 Euro pro Auftrag. Nicht selten wachsen die Honorare auch auf sechsstellige Beträge an.
Es ist ein Handwerk, ein sehr lukratives. Tatsächlich ist Verhandlungstäktik keine Geheimwissenschaft. Oft ist es nur angewandtes Wissen über die menschliche Natur. Wobei Macioszek zwischen intelligenter und kluger Anwendung unterscheidet: „Intelligenz ist schädlich", sagt er. Viele Manager seien zwar sehr intelligent, aber nicht sehr klug. Intelligent sei zum Beispiel dem anderen mit guten Argumenten zu erklären, warum man für dieselbe Leistung ab sofort 20 Prozent weniger zahlen will. Klüger wäre zu sagen: „Ihr Mitbewerber hat mir gerade ein besseres Angebot gemacht, um Sie aus dem Geschäft zu drängen. Was schlagen Sie vor?"
Das sind noch vergleichsweise simple Tricks. Richtig angewendet aber, entfalten sie große Wirkung. Auch die menschliche Eitelkeit ist eine gefährliche Schwäche, die sich gut ausnutzen lässt, sagt Schranner. Das Lob „Sie als Experte..." ist ein vergiftetes Kompliment, das den anderen entwaffnet. Und das Geständnis „Also, das sind die härtesten Verhandlungen, die ich je geführt habe..." kann eine aufrichtige Anerkennung sein - meist aber ist es eine List: Der Partner soll glauben, er habe das Beste erreicht.
Profis sind immun gegen solche Manöver, sie wissen, dass dies lediglich Taktik ist. Genauso wie Drohungen. Ein Erpresser etwa droht, die Geisel zu erschießen; ein Unternehmen droht dem Lieferanten, den Auftrag zu entziehen, wenn sich die Qualität nicht bessert oder der Preis sinkt; der Chef droht Mitarbeitern, sie zu entlassen, falls sie nicht mehr leisten. Das sind menschliche Urreflexe, ähnlich wie bei einem Gorilla, der auf seine Brust trommelt, um einen Eindringling zu verscheuchen.
Die Verhandlungsprofis dagegen wissen: Drohen ist ein Zeichen von Schwäche. „Wer das macht, versucht etwas umsonst zu bekommen", sagt Macioszek. Beispiel Gorilla: In Wahrheit ist ihm das Risiko des angedrohten Angriffs zu hoch. Er kalkuliert: Ein echter Kampf mit dem Eindringling wäre anstrengend, Blessuren gewiss und die Gefahr, zu unterliegen, groß. „Die Drohung ist also nichts weiter als ein Verhandlungsangebot", sagt Macioszek. Die Gegenstrategie: Nerven bewahren, alles kühl durchrechnen und eigene Stärke zeigen.
Ein Zulieferer reagierte beispielsweise auf die Drohung eines Auftragsentzugs, indem er Spezialteile nicht pünktlich auslieferte - angeblich wegen eines Blitzschlages in seinem Werk, erinnert sich Macioszek. Die Produktion des Konzerns stand vier Tage still. Das Management verstand die Botschaft - und drohte nicht weiter.
Gerade in solchen Bedrohungssituationen, wenn die Emotionen hochkochen, ist es wichtig, dass Verhandlungsführer und Entscheidungsträger nicht identisch sind. Auch diese Erfahrung stammt aus der Polizei arbeit. Sie sorgt dafür, dass stets eine vernünftige und keine emotionale Entscheidung getroffen wird.
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Eine weitere Regel: Wer Verhandlungen gewinnen will, muss sie aktiv fuhren. Wer nur noch reagiert, hat schon verloren. Ein ausgebuffter Ghost Negotiator versucht deshalb stets seinen Gegner in eine defensive Position zu drängen. Gutes Verhandein ist deshalb immer auch Stressmanagement. Wer Stress bat, kann nicht klar denken. Stress löst Fluchtreflexe aus und zwingt einen in die Defensive. Stress kann man bewusst als Mitte) der Verhandlungstaktik einsetzen und erhöhen, aber auch senken. Nach einer Stunde Plauderei bei einem Lunch beispielsweise verhandelt es sich deutlich entspannter - und vernünftiger. » S.5 Fies gewinnt Ohne gule Vorbereitung geht das nicht. Dazu gehört, möglichst viele Informationen über die Gegenseite einzuholen. Die besten Ghost Negotiators verfügen über ein Netzwerk, das sie anzapfen können, manche erstellen sogar Persönlichkeitsprofile ihrer Verhandlungsgegner. Informationen über Dinge, die sich hinter den Kulissen abspielen, können entscheidend sein; Ist der Partner nur deswegen zu keinen Zugeständnissen bereit, weil er sich intern als harter Hund beweisen muss? Oder steht er anderweitig unter Druck? Muss er diesen Abschluss unter allen Umständen hinkriegen, oder lässt er sich auf eine Alternative ein? Und worüber wird tatsächlich verhandelt?
Die letzte Frage klingt nur auf den ersten Blick banal. So erinnert sich Schranner noch gut an einen Zulieferer, der seine Teile wie vereinbart geliefert hatte, die aber nicht in anderen, artverwandten Produkten des Herstellers funktionierten. Das war zwar nicht Bestandteil des Vertrags - aber der Auftraggeber verweigerte nun die Zahlung. Der verantwortliche Bereichsleiter geriet in eine Zwickmühle: Würden die Verhandlungen scheitern, nähmen auf beiden Seiten die Vorstände das Heft in die Hand; würden sie sich einigen, stünde er als unfähig da und könnte den Job verlieren.